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Vom Umgang mit Ängsten und Mäusen
Strategien zur Angstbewältigung
27.03.2006Sie kennen die Szene: Eine Frau hat sich kreischend auf einen Tisch, einen Stuhl oder sonst irgendwie erhöhte Plattform geflüchtet. Der Zuschauer fragt sich wozu das Ganze, und schmunzelnd stellt er fest: Eine kleine Maus sitzt davor und lugt ungläubig empor, was denn dieses Riesenwesen – aus seiner Sicht zumindest – wohl dazu bewegt haben mag, in akrobatischer Manier gesicherte Höhen zu erklimmen. Die Szene endet, zum Gelächter aller, meist darin, dass ein heldenhafter Akteur, liebevoll aber auch höchst amüsiert zum Besten gibt, was rational sowieso allen sonnenklar ist: „Vor so einem kleinen Tier braucht man sich doch nicht zu fürchten!“
So lächerlich dieses Beispiel auch sein mag, so bedeutsam ist es, wenn man die Angst vor Mäusen, durch eine beliebig andere ersetzt. Wie hoch ist etwa die Palme, auf die sich ihre Mitarbeiter flüchten, wenn Sie die Einführung eines neuen EDV-Systems ankündigen? Oder welche geheimen Orte oder gar Barrikaden werden aufgesucht, wenn es um die Verteilung schwieriger Arbeiten oder auch nur Klienten geht?
Wie ich bereits im Beitrag „Angst – Hindernis bei Veränderungsprozessen“ beschrieben habe, ist es für den Umgang mit Ängsten völlig irrelevant, ob sie berechtigt sind oder nicht. Wir Menschen reagieren auf unsere subjektive Wahrnehmung mit unserem archaischen angelegten Angstprogramm. Und dieses Programm wird ohne unser Zutun ausgelöst, um uns vor Schaden zu bewahren. Unsere subjektive Wahrnehmung schafft eine objektive Realität und gemäß dieser Realität orientieren wir unser Verhalten. Unsere Denkhaltung bestimmt unser Verhalten und unser Verhalten bestimmt die Verhältnisse in unserem Leben. Das ist im Berufsleben ebenso, wie im Leben mit unseren Partnern oder unserer Familie.
Um mit Ängsten in Arbeitsbeziehungen oder auch im Alltag besser umzugehen, kann man sich an vier einfachen Grundregeln orientieren:
1. Nicht Erklären, sondern Einfühlen - Wahrnehmen
2. Zuwenden und Zuhören - Ernstnehmen
3. Bemühen um Verständnis
4. Gemeinsam Lösungen entwickeln
Nicht Erklären, sondern Einfühlen
Ein Mensch, der Angst hat, nimmt die Realität anders war und reagiert daher auch anders, als ein Mensch der Sicherheit spürt. Für einen ängstlichen Menschen ist es geradezu beschämend, wenn seine Ängste für unbegründet, irrational oder nicht berechtigt bezeichnet werden. Im Alltag reagieren wir gewöhnlich auf den Reflex Angst ebenso reflexartig: Wir trösten, beruhigen, beschwichtigen und versuchen durch rationale Erklärungen dem anderen zu beweisen, dass es keinen Grund gibt sich Sorgen zu machen. Genau diese Strategie verkehrt aber unsere Hilfe ins Gegenteil. Ein bisher vertrauensvolles Verhältnis zwischen Mitarbeitern und Inhaber zw. Teamleiter kann so schneller getrübt werden, als man es im Nachhinein wieder aufbauen kann.
Vertrauen schlägt in Misstrauen um, weil Menschen sich mit ihren Befürchtungen nicht ernst genommen fühlen. Das bedroht sie insgesamt in ihrer Integrität und stört empfindlich ihr Selbstbewusstsein. Im Umgang mit Ängsten müssen wir in einem ersten Schritt noch nichts erklären, sondern müssen mit den Ängsten gehen. Nur so kann es uns gelingen ihnen auf den Grund zu spüren.
Helfen Sie der Frau vom Tisch. Bieten Sie ihr schützend Ihre Hand an. Begleiten Sie sie in einen anderen Raum.
Für Ihre Mitarbeiter gilt ganz ähnliches: Helfen Sie Ihnen, vorerst nicht mit weiteren Informationen über die vorgesehenen Maßnahmen, sondern richten Sie Ihr Augemerk auf die Vermittlung des zu erwartenden Handlungsbedarfs an die betroffenen Mitarbeiter. Veränderungen, gleich welcher Art, erscheinen immer dann bedrohlich, wenn sie in bestehende Strukturen, Abläufe und Routinen eingreifen und damit möglicherweise neue Anforderungen mit sich bringen. Andere verlangen den Mitarbeitern die Änderung von Einstellungen und Verhaltensweisen ab. Bieten Sie eine Art „Schutzraum“ an, einen Ort der Kommunikation, wo alle die Möglichkeit erhalten, ihre Ängste zu deponieren. Transparenz und Offenheit sind hier die Zauberworte.
Zuwenden und Zuhören
Wo auch immer Emotionen auftauchen, wird jegliche Kommunikation erschwert, bisweilen sogar verunmöglicht. Was den Umgang mit der Emotion „Angst“ so kompliziert macht, ist ihre Tabuisierung im Allgemeinen und im Wirtschaftsleben im Speziellen.
Kanzleiinhaber, Partner, Teamleiter und andere Helden haben keine Angst zu haben. Wenn doch, dürfen sie sich es keinesfalls anmerken lassen und schon gar nicht darüber sprechen. Ein wesentlicher Schritt zur Auflösung von Ängsten ist allerdings, dass sie zunächst konkret benannt und ausgesprochen werden können.
Aufmerksame Zuwendung gepaart mit aufmerksamem Zuhören ermöglicht Betroffenen erstmals selbst eine genaue Bestandsaufnahme zu machen. Das Gefühl nicht allein gelassen zu sein, löst zwar noch keinerlei Problem, aber es wirkt enorm entlastend. Überraschenderweise bewirkt bereits das Offenlegen und das Mitteilen bzw. das gemeinsame Betrachten für die Betroffenen entlastend.
Bemühen um Verständnis
Wenn Sie mit Ihren Mitarbeitern oder auch in Ihrem privaten Umfeld mit Menschen ernsthaft über deren Ängste sprechen wollen, widerstehen Sie tapfer dem Reflex des Tröstens und Beschwichtigens. Floskeln wie: „Ich verstehe Sie ja, aber …“ erhöhen keineswegs das Vertrauen in Sie. Gerade dieses „aber“ bereitet eine weitere sachliche Argumentation vor und verhindert, dass man Ihren Beteuerungen Glauben schenkt. Richtiges Verstehen ist dann erreicht, wenn es Ihnen gelingt, treffend mit Ihren Worten wiederzugeben, was der andere zum Ausdruck bringen wollte. „Sie machen sich Sorgen, dass …“ oder „Sie machen sich Gedanken, ob …“ sind brauchbare Redewendungen dafür. Bleiben Sie den Gedanken Ihres Gesprächspartners konsequent auf der Spur bis Sie auf einem konkreten Kern gelandet sind.
Fragen Sie z.B.:
- Was genau löst die Angst aus?
- Was kann im schlimmsten Fall passieren?
- Wie wahrscheinlich ist, dass dieser schlimmste Fall eintritt?
- Was kann hier und jetzt verändert werden um das Gefühl von Sicherheit wieder zu gewinnen?
Rechnen Sie damit, dass Sie mit Erfahrungen Ihres Gegenübers konfrontiert werden, die Sie so nicht vermutet hätten. Dem Empfinden von Angst geht immer ein Lernprozess voran. Das Gute daran ist, dass man gelerntes auch wieder verlernen kann.
Vielleicht gibt es eine Erzählung eines Bubenstreichs, der vor vielen Jahren dazu führte, dass eine auf dem Heimweg plötzlich piepsende Schultasche vor lauter Schreck über das Brückengeländer in dem heimatlichen Fluss landete. Niemand wollte der Geschichte Glauben schenken. Die verlorenen Schulbücher mussten vom eigenen Taschengeld nachgekauft werden. Zum Angsthasen wurde man nun auch noch als Lügner beschimpft. Solche Erfahrungen bahnen sich tief in unser Langzeitgedächtnis ein und schon das leiseste Piepsen oder auch nur die schattenhaften Umrisse einer Maus, lassen all den Kummer von damals wieder bildhaft vor uns erscheinen. Klar, dass man das unter allen Umständen nicht wiederholen möchte. Zu tief sitzen die Enttäuschung und die Erfahrung des Misstrauens noch immer fest.
Ein Mitarbeiter hat möglicherweise bei seiner vorherigen Kanzlei eine Umstrukturierung erlebt. Entgegen aller Erklärungen blieb nichts beim Alten. Sogar Kollegen wurden entlassen. Oder einige haben sich nur durch Engagement in ihrer Freizeit die Kenntnisse für das derzeitige EDV-Programm angeeignet, auf eigene Kosten eine Weiterbildung besucht, aus Scham nicht so schnell lernen zu können, wie die jüngeren Kollegen. Die Angst bei einer erneuten Umstellung nicht Schritt halten zu können oder beim heimlichen Nachhilfeunterricht „entdeckt“ zu werden, betrifft sie nun erneut.
Gemeinsam Lösungen entwickeln
Diese zugrunde liegenden Ängste werden Sie nur erfahren, wenn Sie Zeit in die Beziehung zu Ihren Mitarbeitern oder Ihren Partnern investieren. Nur wenn Sie im Gespräch mit Ihrem gegenüber erreichen können, dass dieser sagen kann: „Ja, genau so ist es. Genauso fühle ich mich.“, ist der Zeitpunkt erreicht, in dem auch Ihre sachlichen Argumenten gehört werden können. Ihr Gegenüber hat Ihnen damit bestätigt, dass er sich verstanden fühlt und dass er darauf vertrauen kann, auch als Person ernst genommen zu werden.
Nicht die Veränderung selbst ist es, die Menschen im allgemeinen scheuen, sondern die Angst auf Verlust. Menschen empfinden Veränderungen als Bedrohung ihrer Besitztümer. Und damit sind keineswegs nur materielle Dinge gemeint. Auch emotionaler Besitz wie Erfahrung, Sicherheit, vertraute Routinen oder das gute Gefühl, Aufgaben im Griff zu haben sind bedroht, wenn veränderte Arbeitsabläufe oder neue Arbeitsmethoden eingeführt werden sollen. Jegliche Veränderung ist so gesehen mit dem Risiko auf Verlust verbunden. Wir Menschen sind Energiesparer und daher geben wir uns mit dem kleinen, aber sicheren Gewinn in der Hand eher zufrieden, als mit der vagen Aussicht auf einen großen Gewinn: „Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach.“
Der „Trick“ ist, die Energie der Unsicherheit in eine konstruktive Spannung umzuwandeln. Wenn es gelingt, zum Leidensdruck der Angst mindestens eine positive Perspektive zu entwickeln, wie z.B. Hoffnung, dann kann diese Transformation durchaus gelingen. Angst die bei Mitarbeitern Widerstand bei Veränderungsprozessen auslöst, zeigt deutlich, dass reichlich Energie vorhanden ist. Diese vorerst negativ mobilisierte Energie kann durch das gemeinsame Erarbeiten von Lösungswegen in eine positive und konstruktive Energie transformiert werden. Dazu müssen Sie im Gespräch bleiben.
Machen Sie der Frau den Vorschlag, ob sie Sie vielleicht einmal in ein Zoogeschäft begleitet. Dort können erste Berührungsversuche mit einem Hamster stattfinden, der gilt allgemein als friedliches, sogar für Kinder geeignetes, Haustier. Im Gegensatz zu einer Maus, die mit ekelig und schmutzig bezeichnet wird, ist der Hamster ein Nager, der gewöhnlich mit dem Adjektiv „süß“ bedacht wird. Da er auch nicht laut herumpiepst ist er fürs Angreifen schon besser geeignet. Bei einer geplanten EDV-Umstrukturierung würde die entsprechende Maßnahme ein Besuch bei einer Steuerberatungskanzlei sein, bei der die Umstellung schon erfolgreich abgewicklt wurde.
Wenn im Gespräch mit Ihren Mitarbeitern, deren zugrunde liegende Ängste konkret bekannt werden, ist es nur noch ein kleiner Schritt auch gemeinsam über Lösungswege zu diskutieren. Wenn Sie, wie zu Beginn vorgeschlagen, Ihre Aufmerksamkeit auf den Handlungsbedarf gelenkt haben, können Sie jetzt auch im gemeinsamen Gespräch verhandeln, welche Unterstützung Sie sich erwarten und welche Sie zu geben bereit sind.
Wenn Sie mit Ihren Mitarbeitern in Beziehung sind bzw. gemeinsam Lösungen entwickeln können, brauchen sie sich auch keine Sorgen um deren Umsetzung mehr machen. Kaum jemand sabotiert, was er selbst entworfen hat. Damit wird Veränderung zur Chance und die Blockaden des Widerstandes verwandeln sich in Energien zu deren Umsetzung.
Wenn die Frau Ihnen vertraut, wird es einen Besuch im Zooladen geben. Wenn Sie dann noch anbieten, den Hamster während der ersten Berührungsversuche ruhig zu halten, dann könnte hier noch richtige Freundschaft mit dem kleinen Felltierchen entstehen.
Nichts ist motivierender als die Energie, die spürbar wird, wenn man das Risiko wagt, sich seinen Ängsten zu stellen. Jedes Mal, wenn man sich erfolgreich auf ein Risiko einlässt, erweitert sich der persönliche Handlungsspielraum. Wer dagegen beängstigenden Situationen ausweicht, hat zwar für den Moment die Angst beendet, wird aber nicht erfahren, wie wenig gefährlich die Situation in Wirklichkeit ist.