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Vernetztes Denken
Der Versuch einer Annäherung, komplexe Situationen zu meistern
16.03.2005Die Entwicklungen der modernen Technik, Wirtschaft und Gesellschaft haben zu einer Zunahme an Komplexität und Vernetzung in fast allen Bereichen geführt. Dieser Umstand hat eine deutliche Zunahmen von Spezialisierung zur Folge. Für fast jede Entscheidung braucht es einen „Spezialisten“.
Auch innerhalb von Unternehmen sind die meisten Problemstellungen – anscheinend – nur noch von Experten zu lösen. Unabhängig von deren praktischer Intelligenz und fachlicher Kompetenz kommt es dabei immer öfter zu Entwicklungen, die so nicht geplant waren. Unterschiedlichste Reaktionen der unerwünschten Art treten trotz sorgfältigster Planung auf und erfordern weitere Problemlösungen.
Komplex heißt nicht kompliziert
Komplexität: Derzeit wohl eines der meist gebrauchten, vielleicht auch missbrauchten Worte. Mit diesem - verzeihen Sie mir die Bezeichnung – Modewort, wird vieles beschrieben, was schlecht greifbar und in seiner Gesamtheit schlecht zu fassen ist. Ich will Ihnen nun nicht noch einen weiteren Vorschlag für die Bedeutung des Wortes machen, sondern ich möchte Ihnen ein wenig die Angst vor der Komplexität als Fehlerfalle nehmen.
Meiner Meinung nach, steht Komplexität für ein Phänomen von zahlreichen, voneinander abhängigen Faktoren oder Merkmalen. Nicht allein die Anzahl der Merkmale ist der entscheidende Punkt, sondern deren wechselseitige Abhängigkeit.
Komplex heisst auch keineswegs zwangsläufig kompliziert. Für einen Führerscheinneuling beispielsweise, stellt die Bewältigung des Stadtverkehrs mit großer Sicherheit eine höchst „komplexe“ Situation dar. Eine Vielzahl von Merkmalen, Informationen, Signalen und Regeln muss nahezu zeitgleich beachtet werden. Der erste Ausflug in die City wird somit zur schweisstreibenden Aufgabe. Für einen erfahrenen Autofahrer, stellt dieselbe Situation kaum mehr eine größere Anforderung an sein fahrerisches Können dar. Er hat bereits gelernt, die Situation in ihren groben Strukturen zu erfassen und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Selbst ein plötzlich über die Straße laufendes Kind, kann von ihm noch rechtzeitig in seinen Handlungsablauf übernommen werden.
Sie sehen schon: Die Einschätzung einer Situation, als komplex oder weniger komplex ist eine völlig subjektive Beurteilung. Von einer komplexen Situation „an sich“ oder von zunehmender Komplexität „schlecht hin“ zu sprechen, ist daher häufig eine Aussage, die mehr über den Sprecher verrät, als über die Merkmale eines Geschehens oder einer Situation. Somit gilt, daß Komplexität keine objektive Größe ist.
Ein Unternehmen – darin dürften wir uns einig sein – ist mit ziemlicher Sicherheit ein komplexes System. Welchen Grad an Komplexität Sie diesem System beimessen, hängt zum Einen von Ihrer Erfahrung in diesem System, aber auch von Ihrer persönlichen Einschätzung ab. Allein das Vorhandensein von zahlreichen Merkmalen, wie Arbeitsaufgaben, Problemen, Beziehungen, Notwendigkeiten, etc. macht noch keinen hohen Grad an Komplexität aus. Ein hoher Grad an Komplexität ergibt sich immer erst aus der Anzahl der beteiligten Faktoren und dem Ausmaß, indem verschiedene Aspekte und Faktoren in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten beachtet werden müssen.
Leider werden wir in unserer Ausbildung nicht gerade „geschult“ im Denken, wie Dinge wechselseitig voneinander abhängig sind und sich gegenseitig beeinflussen. Die Welt die wir „gelehrt“ bekommen ist fein säuberlich in separate Fächer eingeteilt. Es gibt hier die Mathematik, dort die Biologie, hier haben wir die Physik und dort die Psychologie. Alles schön unter den jeweiligen Spezialisten aufgeteilt und eins vom anderen, zumindest „scheinbar“, völlig unabhängig. Was könnte schon eine mathematische Gleichung mit unserem psychischen Allgemeinbefinden zu tun haben?
Dieses linear, kausale Wirkungsdenken greift in vielen Bereichen zu kurz. Das müssen wir oft schmerzlich erkennen. Ein neues Denken [Fritjof Capra] ist gefragt. Vernetztes Denken und Handeln [Frederic Vester] oder Systemdenken [Peter Senge] empfehlen uns die Theoretiker.
Vier Begriffe, um sich diesem Denken anzunähern
Vernetztes Denken ist keine Methode, die man einfach erlernen und wie ein neues Rezept anwenden kann. Gemeint ist vielmehr ein ganzes Bündel von Fähigkeiten, das uns Entscheidungen in komplexen Situationen ermöglicht. Es löst unser bisheriges „Wenn–dann–Denken“ ab und erlaubt uns in Kreisläufen und Vernetztheiten zu denken. Dabei geht es nicht darum, Situationen in allen ihren Teilaspekten möglichst gründlich zu sehen, sondern Arbeitsaufgaben und Problemsituationen als integriertes Ganzes wahrzunehmen.
Das bewusste Berücksichtigen von Rahmenbedingungen, Abhängigkeiten, Vernetzungen und der Eigendynamik von komplexen Situationen, bestimmen im wesentlichen die Qualität der getroffenen Entscheidungen. Einfaches Ursache-Wirkungs-Denken, führt in komplexen Situationen leider oft dazu, dass die Entscheidungen von heute, zu den Problemen der Zukunft werden.
1. Unbestimmtheit
Wir handeln oft, ohne die vorliegende Situation vorher genauer zu analysieren. Wir sind Meister im operativen Handeln geworden, „denn wer zögert, hat schon verloren“. Andererseits werden oft endlos Informationen gesammelt, so dass wir uns zu Recht „lost at sea“ fühlen. Weder eine Schnellschussaktion noch ein Informationsoverkill sind angemessene Strategien im Umgang mit Komplexität.
Es geht darum, sich ein Bild von der Sache zu machen, eine Struktur zu erkennen und nicht in einem Informationshaufen zu ertrinken, also eine gewisse Unbestimmtheit zuzulassen.
Oft wissen wir nicht so genau, worauf wir im Einzelnen hinaus wollen. Alles soll einfach irgendwie besser werden. Ein zuerst unscharfes Ziel oder möglicherweise sich widersprechende Ziele müssen klar gemacht werden, um dann unter Berücksichtigung der Zusammenhänge behandelt zu werden. Geschieht dies nicht, so wird ein Missstand gesucht, dieser behandelt, der nächste gesucht, dieser wieder behandelt, usw.
2. Vernetztheit
Wenn Sie innerhalb eines Unternehmens – eines komplexen Systems - eine Entscheidung treffen, wird dies unweigerlich Auswirkungen auf andere Bereiche haben. Jede Entscheidung in einem Bereich beeinflusst viele verschiedene andere Bereiche des gesamten Unternehmens. Es ist ein Muss, nicht nur die unterschiedlichen Teilbereiche in geeigneter Weise zu behandeln, sondern auch gleichzeitig zu berücksichtigen, dass die verschiedenen Teilbereiche nicht unabhängig isoliert von einander existieren, sondern sich wechselseitig positiv oder auch negativ beeinflussen.
Bei Nichtbeachtung der Vernetztheit folgen Nebenwirkungen und Fernwirkungen, die dann wiederum neue Lösungen erfordern. Je mehr Vernetztheiten, und je mehr diese wechselseitig voneinander abhängig sind, desto höher ist die Anforderung an die Fähigkeiten des Leiters eines Unternehmens, Informationen zu sammeln, zu integrieren und daraus folgend, wieder Handlungen zu planen.
3. Intransparenz
Intransparenz in einer Situation bedeutet, dass nicht alles sichtbar ist, was man eigentlich sehen will oder sehen soll. Viele Informationen sind für denjenigen, der zu planen und Entscheidungen zu treffen hat, nicht oder nicht unmittelbar zugänglich.
Probleme, die man erkennen kann, kann man lösen. Und das findet in Unternehmen auch laufend statt. Implizite Probleme werden häufig nicht erkannt und können daher nur dank genauerer Analyse behandelt werden.
4. Dynamik
Komplexe Situationen besitzen die Eigenschaft, dynamisch zu sein. Das heisst, selbst wenn keinerlei Eingriffe vorgenommen werden, finden Veränderungen statt. Häufig geschieht es jedoch, dass Probleme zu einem bestimmten Zeitpunkt gelöst werden, ohne die Eigendynamik des Systems zu beachten. Eigendynamische Entwicklungen haben zudem oft noch die Eigenschaft, dass sie exponentiellen Verlauf haben.
Fern - und Nebenwirkungen werden daher in zahlreichen Problemlösungen nicht bedacht, und somit werden wiederum die Lösungen von heute, zu Problemen von morgen. Dynamische Situationen fordern vom Problemlöser die Fähigkeit unter Zeitdruck handeln zu können und die Fähigkeit, Entwicklungen realistisch und eingebettet in ihre Vernetztheit abschätzen zu können.
Ich gebe zu, dass dieses Thema wahrlich keine leicht verdauliche Kost ist. Ich hoffe aber, dass es mir gelungen ist, Sie für dieses Thema zu interessieren. Eine Auseinandersetzung mit dem Thema „komplexe Systeme“ ist spannend, und man entdeckt laufend Neues.
Ich hatte die Gelegenheit an einer offenen Syntegration des Managementzentrums St. Gallen zum Thema „Komplexität im Management“ teilzunehmen. Eine der Kernaussagen dort war, dass die Bewältigung der Komplexität - neben der Verwendung von Modellen als Annäherung komplexe Systeme darzustellen - dadurch möglich ist, dass die eigene Varietät zu erhöht wird. Das heißt, je mehr Wissen, Erfahrung, Handlungsmuster, Kompetenzen Sie haben (und das kann man lernen, trainieren und üben), desto wahrscheinlicher ist die erfolgreiche Bewältigung komplexer Situationen.