Mag. Stefan Lami - Steuerberatung - Unternehmensberatung

Datenschutz Werbeagentur Linz

Die hybride Steuerberatungskanzlei

Grundlagen für ein erfolgreiches Kanzleiorganisations-Modell der Zukunft

10.07.2020

Corona hat in den letzten Wochen bereits vorhandene Entwicklungen und Trends verstärkt und beschleunigt. Nicht nur in der Gesellschaft allgemein, sondern auch in Unternehmen und damit Steuerberatungskanzleien. Veränderungen, die ohne diesen enorm hohen Druck (Ausgangsbeschränkungen, Social Distancing, etc.) noch Monate oder Jahre gedauert hätten, geschahen innerhalb einiger Tage bzw. weniger Wochen.

Natürlich wünschen sich viele, dass die „alte“ Normalität möglichst schnell wiederhergestellt wird. Der Ausnahmezustand kann doch nicht ein Dauerzustand bleiben, hört man immer wieder. Dieser momentane Zustand eines Zwischenstadiums, quasi einer Schwebe zwischen „alter“ und „neuer“ Normalität, bietet Gelegenheiten. Unter anderem sich die Frage zu stellen, wie eine Steuerberatungskanzlei künftig organisiert werden sollte, um ideal für die kommenden Herausforderungen aufgestellt zu sein, weil die lang gelebten Praktiken der Klientenbetreuung und Mitarbeiterführung nicht mehr so schnell – oder nie mehr – eintreten werden.

So unglaublich es klingen mag, geht es nicht nur darum, die durch Corona entstandenen negativen Effekte auszugleichen, sondern im Endeffekt die Kanzleien durch die neue Normalität schneller, effektiver, flexibler werden zu lassen. Es also einen Quantensprung in der Qualität und der Geschwindigkeit der Kanzleientwicklung geben kann.

Die hybride Steuerberatungskanzlei

Bis zum Corona-Lockdown war die Branche extrem geprägt von persönlichen Kontakten: Das persönliche Klientengespräch, der persönliche Austausch unter den Kollegen, Mitarbeiterführung in Form von persönlichen Kontakten. Die Steuerberatung lebte von den gelebten persönlichen Beziehungen. Von einem Tag auf den anderen, war diese Grundlage weitestgehend entzogen. Schnell lernten alle Beteiligten den Umgang mit dem virtuellen Kontakt. Es stellte sich dabei heraus, dass der virtuelle Kontakt auch eine Reihe von Vorteilen hat.

Meine Einschätzung ist, dass sich Steuerberatung nie vollständig in einem virtuellen Geschäftsmodell abbilden lässt. Der persönliche Kontakt (Klienten und Mitarbeiter) wird weiterhin wichtig bleiben. Die entscheidende Herausforderung für die Zukunft besteht darin, „persönlich“ und „virtuell“ in einer optimalen Weise zu kombinieren. Hybrid zu werden. Der Vergleich zum Autofahren drängt sich auf: Elektro-Antriebe sind für die Kurzstrecke ideal. Wer allerdings schnell eine große Distanz zurückzulegen möchte, ist mit einem Verbrennungsmotor deutlich besser dran.

Die folgenden Bausteine bilden die Grundlage für eine hybride Organisation der Kanzlei:

  1. Digitales Arbeiten als Voraussetzung
  2. Remote Work & Flexible Arbeitsmodelle
  3. Führung auf Distanz
  4. Ein gemeinsames Bild über die Kommunikationssituationen
  5. Anpassung der Bürogröße und -ausstattung

Diese Bausteine greifen ineinander. Die positiven Wirkungen des hybriden Organisationsmodell entstehen aus dem Zusammenspiel aller Bausteine, abgestimmt auf die jeweiligen Herausforderungen und Merkmale der Kanzlei, wie z.B. Größe, Klientenstruktur, Spezialisierung u.a.

Die folgenden Ausführungen sollten die allgemeinen Grundlagen liefern, um in der Kanzlei – gemeinsam mit dem Team – die optimale, individuelle Vorgangsweise zu finden.

1. Digitales Arbeiten als Voraussetzung

Jene Kanzleien, die bereits vor Corona digital arbeiteten, konnten sehr schnell auf eine virtuelle Arbeitsweise, insbesondere Home-Office, wechseln. Bei Cloud- bzw. ASP-Lösungen erfolgte der Switch ins Home-Office sogar extrem schnell und einfach. Digital arbeitende Kanzleien erfüllen damit die erste Voraussetzung für eine hybride Arbeitsweise.

Die Digitalisierung und Automatisierung der Tätigkeiten ist nun wirklich keine Neuigkeit mehr in der Branche. Gerade jetzt ist jedoch wirklich allen, auch jenen die hier hinterherhinken, bewusst geworden, welche Vorteile digitales Arbeiten bietet. Spätestens jetzt, also in der Phase des „kurz-nach-Corona-Lockdowns“ sollte ein Ruck durch jede digital rückständige Kanzlei gehen, in Sachen Digitalisierung aufzuschließen.

Dass diese Aufgabe nicht einfach ist, liegt auf der Hand. Allerdings sollte der vorhandene Druck hoch genug sein, sich mit aller Energie der Herausforderung JETZT zu stellen. Bei einem zweiten Lock-Down, auch wenn er nur regional ausfallen würde, sollte eine zeitgemäß organisierte Steuerberatungskanzlei gut gerüstet sein. Einerseits zum Schutz der Mitarbeiter, andererseits auch für eine solide kontinuierliche Betreuung der Klienten. Ich bin mir nicht sicher, ob es Inhabern bzw. Partner noch einmal verziehen wird, wenn trotz einer vorhandenen und reellen Infektionsgefahr persönliche Kontakte stattfinden müssen.

Einen besseren Zeitpunkt für die Überzeugung, digital zu arbeiten, wird es - sowohl für Klienten als auch für Ihre Mitarbeiter - fast nicht geben.

2. Remote Work & Flexible Arbeitsmodelle

Eine ausgesprochene Klarheit über „Remote Work“, d.h. Home-Office, ist unerlässlich für eine hybride Kanzlei. Die gemachten Erfahrungen während der letzten Woche sind einerseits nützlich, andererseits jedoch auch hinderlich. Die positiven Seiten sind meist offensichtlich, wie z.B. die Zeitersparnis beim Arbeitsweg, während man bei den negativen Erfahrungen etwas genauer hinsehen sollte.

In sehr vielen Fällen war das Home-Office aus der Not geboren, noch dazu in Kombination mit dem Home Schooling der Kinder, dem gleichzeitigen Home-Office des Lebenspartners und einer kleinen Wohnung eine enorme Herausforderung. In einer hybriden Kanzlei sollte dieser Notbetrieb des Home-Office nicht mehr vorkommen. Home-Office braucht Professionalität. Ein paar wenige Grundregeln und ein eindeutiges gemeinsames Verständnis helfen dabei.

Home-Office ist immer noch Office

Aus diesem Grundsatz ergeben sich eine Fülle von Folgen:

  • Es gelten die gleichen Regeln wie im Büro: Verschwiegenheit, Dokumentation der Leistungen, etc.
  • Klare Anwesenheitszeiten und Erreichbarkeit wie im Büro
  • Aktive Kommunikation der Mitarbeiter im Home-Office, wenn Anliegen vorhanden sind, genauso wie im Büro
  • Kleidung wie im Büro; es kann ja jederzeit ein Klient, ein Kollege oder der Vorgesetze per Videocall Kontakt aufnehmen
  • Umleitung des Telefons im Büro auf die Mobiltelefonnummer während der Zeit des Home-Office

Ausstattung im Home-Office

Die technische Ausstattung muss für das dauerhaft professionelle „Remote Work“ dem Standard in der Kanzlei entsprechen. D.h. es sind die räumlichen Voraussetzungen zu prüfen, damit der Arbeitsplatz auch passend eingerichtet werden kann. Dazu gehört u.a.:

  • zwei Bildschirme; besser sogar drei Bildschirme
  • Schnelle Internetverbindung
  • Kamera & Mikrofon
  • Exakt gleich installierte Software wie in der Kanzlei
  • Ergonomischer Bürostuhl
  • Mobiltelefon

Meine Empfehlung dafür ist, dass es für jeden Home-Office Arbeitsplatz ein Budget geben soll, damit diese Voraussetzungen geschaffen werden können.

Sollte ein Mitarbeiter in der eigenen Wohnung nicht über die räumlichen Möglichkeiten verfügen, könnte er den Home-Office Platz auch an einem anderen Ort einrichten. Z.B. im nahegelegenen Elternhaus oder gemeinsam in der (größeren) Wohnung eines Arbeitskollegen in der Nähe. Außerdem könnte auch ein passender Raum in der Nähe des Wohnorts des Mitarbeiters bzw. der Wohnorte der in Frage kommenden Mitarbeiter angemietet werden.

Disziplin ist gefragt

Disziplin ist nicht besonders beliebt. Sie rangiert – so sagt man – zwischen Zahnarzt und Durchfall … Allerdings ist ein gewisses Maß an Selbstdisziplin eine entscheidende Voraussetzung für Home-Office. Sie besteht in der Fähigkeit, sich den Tag gut zu strukturieren, sich nicht ablenken zu lassen, selbst die Initiative zu ergreifen. Sich all diese notwendigen Verhaltensweisen anzueignen, obwohl man sich in einer Umgebung befindet, die einem besonders vertraut ist (der Kühlschrank ist ja so nahe …) und es keine soziale Kontrolle durch Kollegen und Vorgesetzte gibt, ist für viele eine große Herausforderung.

Know-How in Bezug auf die Video-Konferenz-Software

Scheinbare Banalitäten dürfen nicht unterschätzt werden. Es beginnt bei Fragen wie:

  • Wie platziere ich sinnvoll die Kamera, damit ich nicht unvorteilhaft im Bild bin?
  • Welchen Hintergrund sehen meine Gesprächspartner? Wie kann mittels der Software der Hintergrund gestaltet werden?
  • Wie versende ich Einladungen/Termine, damit mein Gesprächspartner mit ein/zwei Klicks an der Videokonferenz teilnehmen kann?
  • Welche Einstellungen kann ich vornehmen, damit die Videokonferenz die passende Lautstärke hat?

Und natürlich sollte jeder wissen:

  • Wie teile ich Dokumente?
  • Wie kann ich – falls erlaubt und gewünscht – die Videokonferenz aufzeichnen?

Der Umgang mit dem nun täglich eingesetzten „Werkzeugs“ Videokonferenz muss flüssig und geschmeidig erfolgen. Schulungen einerseits und „trial and error“ andererseits sind notwendig, um diese Fähigkeiten schnell zu erwerben.

Know-How in Bezug auf die Kommunikation bei Video-Konferenzen

Gelungene Besprechungen mittels Video-Technik brauchen eine noch professionellere Kommunikation in der Besprechungssituation. Die allgemeinen Regeln dafür gelten daher genauso und sogar noch ein bisschen ausgeprägter! Es lohnt sich, die Ausführungen zu Besprechungen mit Mehrwert (Download hier>>>) noch einmal anzusehen und mit dem Team ausführlich zu besprechen.

Eine ergänzende Besonderheit ist, dass ab drei Teilnehmern zu Beginn der Videokonferenz vereinbart werden sollte, wer die Besprechung moderiert. Der Besprechungsleiter gewinnt daher an besonderer Bedeutung. Er steuert den Ablauf der Besprechung, wie z.B. die Reihenfolge der Beiträge der Teilnehmer, Vorgangsweise bei der Präsentation von Ergebnissen (Fragen dazwischen oder am Ende gesammelt), etc.

Insbesondere „ausreden lassen“ ist ein wichtiger Punkt in Videokonferenzen. Durcheinanderreden ist bereits in persönlichen Meetings störend, in Videokonferenzen ist dies ein echtes „no go“!

Modelle für Home-Office

Außerhalb der Corona-Zeit waren in der Branche vor allem tageweise Home-Office Modelle anzutreffen. Mitarbeiter arbeiteten an ausgewählten Tagen der Woche von zu Hause aus.

Eine hybride Vorgangsweise in professioneller Ausprägung ermöglicht weitere Optionen:

  • Wochenweises Home-Office: Zwei Mitarbeiter teilen sich einen Arbeitsplatz im Büro. Z.B. Mitarbeiter 1 ist während der ungeraden Wochen im Büro, Mitarbeiter 2 in den geraden Wochen. Team-Meetings und Kundenbesprechungen können ja jederzeit ortsunabhängig professionell gestaltet werden.
  • Ausschließliches Home-Office: Damit erweitert sich der Kreis, in dem die Kanzlei Mitarbeiter suchen und gewinnen kann. Dieses Modell wird nur für eine Minderheit passen, allerdings kann es im Einzelfall passen.
  • Flexibles Home-Office: Stehen in der Kanzlei ausreichend „Pool-Arbeitsplätze“ zur Verfügung, dann ist für einen Teil der Mitarbeiter auch diese Variante gut möglich. Viele Mitarbeiter würden es sehr schätzen, wenn ihnen bei der Auswahl Ihrer Home-Office-Tage ein höheres Maß an Flexibilität zur Verfügung steht.

3. Führung auf Distanz

Die hybride Steuerberatungskanzlei fordert auch – und besonders – die Führungskräfte der Kanzlei. Führung auf Distanz ist eine deutlich schwierigere Aufgabe als die bisherige klassische Form der Mitarbeiterführung. Wer als Inhaber, Partner, Führungskraft bisher schon seine Führungsaufgaben vernachlässigt hat, bekommt damit ein besonders großes Aufgabenpaket hinzu. Wer bisher Führung ernst genommen hat, braucht lediglich eine gewisse Anpassung seines Verhaltens.

Hier finden Sie 156 Beiträge>>> zum Thema Mitarbeiterführung (Stand Juli 2020). Niemals hat man bei dieser Aufgabe ausgelernt!

MBWA wird MBCA

Die extrem wirksame Methode des „Management by Walking Around“, bei der Führungskräfte zu vorhersehbaren, regelmäßigen Zeiten während des Tages ihre Mitarbeiter an deren Schreibtischen aufsuchen, um kleine und alltägliche Fragen „im Vorbeigehen“ zu klären, ist in der hybriden Steuerberatungskanzlei nicht mehr möglich. Es fehlt damit die Möglichkeit,

  • zu erfahren, welche Themen die Mitarbeiter gerade beschäftigen
  • mitzubekommen, in welchem Stadium sich die Arbeitsaufträge gerade befinden
  • herauszuhören, welche fachlichen, technischen und anderen Themen im nächsten Meeting besprochen werden sollten
  • in richtiger Dosis jeden einzelnen Mitarbeiter zu fordern und zu fördern

Wenn sich ein durchaus großer Teil des Teams nicht mehr dauernd am Arbeitsplatz im Büro aufhält, ist eine Änderung dieser so wichtigen Verhaltensweise notwendig. Ich bezeichne sie als „Management by Connecting Around“. Die Gefahr des „aus den Augen, aus dem Sinn“ ist groß, daher ist es unbedingt erforderlich, systematisch und zielgerichtet den Kontakt mit jedem Mitglied des Teams zu suchen. Im einfachsten Fall durch einen Anruf. Idealerweise durch einen Video-Call, den so können Sie deutlich mehr zu den oben beschriebenen Punkten mitbekommen. Allerdings, Achtung! Der Video-Call darf nicht als Kontrollanruf beim Mitarbeiter ankommen. Es ist ein unterstützender Kontakt, mit dem Sie dem Mitarbeiter fordern und fördern.

Wer bisher MbWA betrieben hat, tut sich natürlich leichter. Mitarbeiter im Home-Office werden sich MbCA wünschen. Wer erst bei der Etablierung von Home-Office mit MbCA anfängt, gerät in den Verdacht des Kontrollanrufs und muss behutsam die ersten Video-Calls führen.

Das Ziel von Führung auf Distanz ist, trotz persönlicher räumlicher Entfernung, Nähe in der Sache mit dem Team zu erreichen.

Regelmäßige Kanzlei-Events als Ausgleich zu weniger persönlichem Kontakt

Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Die persönliche Begegnung ist eine Notwendigkeit. Es würde dem Menschen etwas fehlen, wenn sie nicht mehr vorhanden ist. Selbst bei hoher Frequenz und ausgeprägter Professionalität des virtuellen Kontakts braucht es für ein „Wir“- und „Team“-Gefühl diese persönlichen Kontakte.

Regelmäßig, wahrscheinlich am besten monatlich, können Kanzlei-Events jene Gelegenheiten bieten, die sozialen, persönlichen Kontakte aufrecht zu erhalten. Bei diesen Treffen sollte das Wir, das Team im Vordergrund stehen. Gemeinsame kleine Aktivitäten, ob Brunch, Abendessen, „After-Work-Absacker“ oder auch der Jahreszeit angepasste sportliche Mini-Events wie Bowling, Eislaufen, Spaziergänge, etc. sind nur einige der Optionen. Natürlich können diese Aktivitäten mit der einen oder anderen organisatorischen Kanzleibesprechung und einer nicht fachlichen Schulung (z.B. Kommunikation) kombiniert werden. Im Vordergrund sollte allerdings immer der soziale Aspekt, das gemeinsame Tun, das gemeinsame Verständnis liegen.

Weitere Maßnahmen

Die hybride Organisation macht einige Dinge (leichter) möglich, und damit die Kanzlei – trotz Führung auf Distanz – effektiver und schlagkräftiger:

  • Team-Meetings sind immer durchführbar. Die oft anzutreffende leidige Diskussion, dass Team-Besprechungen deswegen nicht stattfinden, weil nicht alle Teammitglieder in der Kanzlei sind, löst sich vollständig auf. Egal wo sich eine Person (Mitarbeiter oder Inhaber, Partner) gerade befindet, sie kann an der Besprechung kann mittels Video-Technik teilnehmen. Und selbst wenn das, aus welchen Gründen auch immer, nicht möglich ist, kann die Online-Teambesprechung aufgezeichnet werden. Jeder Abwesende kann sich, neben dem Protokoll, im wahrsten Sinn ein Bild vom Inhalt des Meetings machen.
  • Die Führungskräfte können sich mittels Video-Botschaft schnell und einfach an das Team bzw. die ganze Kanzlei richten. Diese Video-Botschaften können aufgezeichnet werden und später angesehen werden. Jeder in der Kanzlei wird erreicht, unabhängig von Ort und Zeit.
  • Die Aufzeichnungsmöglichkeiten betreffen auch Klientenbesprechungen. Video-Konferenzen können, natürlich nach Rücksprache und Erlaubnis des Klienten, aufgezeichnet werden und dann für Ausbildungszwecke mit dem Team nachbesprochen werden. Natürlich sollten die für den Mandanten verantwortlichen Mitarbeiter an der Video-Konferenz teilnehmen bzw. sie sogar leiten – lesen Sie dazu „Die Delegationsautomatik“. Ort und Zeit der Klientenbesprechung unterliegen durch die Videotechnik keiner Einschränkung.
  • Webinare bzw. Online-Seminare in den verschiedensten Ausprägungen erlebten in der Corona-Zeit einen enormen Aufschwung. Diesen Schwung sollten (und werden) Anbieter UND Kanzleien mitnehmen. Eine derartige Form der Aus- und Fortbildung ist eine effiziente, einfache, kostengünstige Abrundung der Personalentwicklung. Viele Anbieter stellen ein einmal angebotenes Webinar über eine längere Zeit zur Verfügung. Das Webinar bzw. Ausschnitte davon können immer wieder zielgerichtet in der internen Fortbildung eingesetzt werden.
  • Selbst „Ausbildung auf Distanz“ ist nicht unmöglich. Natürlich stellt sie Ausbilder und Auszubildenden vor eine große Herausforderung. Mit Disziplin, einer Zeitstruktur und gegenseitigem Verständnis kann sogar Ausbildung gut klappen. Eher nicht in den ersten Wochen der Ausbildung; hier ist der persönliche Kontakt enorm wichtig. Über den gesamten Ausbildungszeitraum betrachtet gibt es allerdings sehr gute Chancen auf ein Gelingen. Einigen wenigen - gut digital organisierten - Schulen gelang ein effektives Home-Schooling. Warum sollte das nicht auch in der Kanzlei möglich sein? Besonders wenn in regelmäßigen Abständen ein persönliches Feedbackgespräch über den Erfolg der Ausbildung durchgeführt wird.

4. Ein gemeinsames Bild über die hybriden Kommunikationssituationen

Für die Realisierung der hybriden Steuerberatungskanzlei ist es enorm hilfreich, über ein gemeinsames Bild der – neuen und bekannten – Formen der Kommunikation in der Kanzlei zu verfügen. Die folgende Matrix sollte Ihnen eine Orientierungshilfe geben. Sie bildet drei Perspektiven ab:

  • Persönlich/Virtuell
  • Intern/Extern
  • Anzahl der teilnehmenden Personen
Kommunikation hybride Steuerberatung

Die folgenden weiterführenden Überlegungen sollten Sie mit Ihren Führungskräften und Ihrem Team besprechen:

  • Stimmen wir dieser grundsätzlichen Einschätzung zu? Wenn nein, in welchen Situationen sehen wir die grundsätzliche Vorgangsweise anders?
  • Welche weiteren Kommunikationssituationen kommen in der Kanzlei vor, die wir einmal grundsätzlich in Bezug auf die Perspektiven einordnen sollten?
  • Bei welchen Klienten und Mitarbeitern passt die grundsätzliche Vorgangsweise nicht? Übrigens in beide Richtungen; d.h. der Austausch könnte virtueller oder persönlicher als hier dargestellt sein.

Die herauszulesende Grundhaltung ist, dass je spezifischer und emotionaler das Thema der Kommunikationssituation ist, desto sinnvoller ist der persönliche Kontakt. Was natürlich im Einzelfall auch durchaus anders sein kann, wenn z.B. der Klient aus zeitlichen, räumlichen Gründen auch komplexe Themen lieber virtuell mit Ihnen bespricht. Insofern lassen sich alle Kommunikationssituationen in dieser Matrix „verschieben“. Lediglich das Feiern und die Events machen virtuell keinen Sinn … oder im Ausnahmefall doch?

Denken Sie auch durchaus paradox. So könnte bspw. der Klient in die Kanzlei kommen und per Video-Call die BWA mit dem sich im Home-Office befindlichen Mitarbeiter besprechen. Das ist denkbar, wenn der Klient sein Unternehmen um die Ecke hat, in der Kanzlei der Besprechungsraum mit Video-Technik vorbereitet ist, die Sekretärin mit wenigen Klicks die Verbindung zum Mitarbeiter herstellt – und der Klient dabei seinen Lieblingskaffee serviert bekommt.

Natürlich sollten weiterhin die übrigen bereits bestehenden Kommunikationsformen sinnvoll genutzt werden. E-Mail, Telefon, interne Newsletter, Klienten-Newsletter, Intranet, Co-Working-Software, interne Chat-Funktionen etc.

Hybrid zu arbeiten, bedeutet, die jeweils effektivste Form der Kommunikation zu wählen. Passend zum Gesprächspartner bzw. der Anzahl der Gesprächspartner und passend für das Thema.

5. Anpassung der Bürogröße und -ausstattung

Nicht überraschend ist es, dass die hybride Steuerberatungskanzlei gravierende Auswirkungen auf die notwendige Bürofläche hat. Je nach Ausprägung der vorgeschlagenen Maßnahmen und des derzeitigen Stands an Vollzeit- und Teilzeitmitarbeitern ist eine Reduktion von 25 % der bisher verfügbaren Arbeitsplätze realistisch. Oder umgekehrt formuliert, sind bei einem Wachstum von 20 % keine weiteren Arbeitsplätze notwendig.

Als Richtgröße ist denkbar, dass die Hälfte der Mitarbeiterzahl für fixe Arbeitsplätze geplant werden kann, wobei diese natürlich auch entsprechend der Home-Office-Zeiten geteilt werden können. Und ein Viertel der Mitarbeiterzahl als Pool-Arbeitsplätze zur Verfügung steht, wodurch kurzfristige, flexible Home-Office-Modelle abgedeckt werden können.

Eine nicht unwesentliche, meist gewünschte, Konsequenz bzw. Voraussetzung für eine derartige Vorgangsweise ist, dass das „Clean-Desk-Konzept“ (siehe Beitrag "Konzentration statt Multitasking") – zumindest am Ende des Arbeitstages – von den Mitarbeitern umgesetzt wird. Nur so ist ein „shared desk“ möglich. Konzentriertes Arbeiten ist ein wesentlicher Faktor der Produktivität. Gut gelöste Bürogestaltung und das Leben der hybriden Steuerberatung kann – und wird – zu Produktivitätsverbesserungen führen.

Im Idealfall sollten auch die Büroarbeitsplätze in Bezug auf virtuelles Kommunizieren perfekt ausgestattet sein, damit nicht der Besprechungsraum für Videobesprechungen blockiert wird. Allerdings sollten Videobesprechungen in besetzten Zweierbüros vermieden werden; wie es übrigens auch für persönliche Besprechungen gilt, damit der anwesende Kollege durch das Gespräch, sei es persönlich oder virtuell, nicht gestört wird.

Nur der Vollständigkeit halber: Investieren Sie in eine exzellente Videotechnologie in Ihren Besprechungsräumen. Ist die Technik ausgereift, einfach zu bedienen, schnell eine Verbindung hergestellt, werden Sie sie deutlich öfter einsetzen.

Resümee

Die Liste der sich ergebenden Vorteile einer hybriden Steuerberatungskanzlei ist lang. Ich versuche eine Aufzählung, wobei sicher noch andere Bonuspunkte vorhanden sind. Ohne Priorisierung, die natürlich subjektiv ist, lassen sich folgende Vorteile nennen:

  • Gut für das Klima; weniger CO2 durch weniger Fahrten zum Arbeitsplatz bzw. zu Besprechungen mit dem Klienten
  • Zeitersparnis in allen Richtungen (Klient, Mitarbeiter, Inhaber) bei weniger Fahrten
  • Weniger Büroflächen – Chancen für Wachstum ohne Ausdehnung der Bürofläche
  • Höhere Attraktivität als Arbeitgeber; höhere Flexibilität für den Mitarbeiter
  • Komprimierte und vor allem effektive Kommunikation unabhängig vom Ort – für die passenden Themen
  • Ausdehnung des Wirkungskreises in Bezug auf die Klienten; Sie können überregional tätig werden bzw. eine bereits vorhandene Überregionalität weiter ausbauen. Besonders für spezialisierte Kanzleien ergeben sich neue Möglichkeiten
  • Chancen auf neue Zielgruppen
  • Ausdehnung des Einzugskreises für die Mitarbeitergewinnung und natürlich auch gute Voraussetzungen, entfernt wohnende Mitarbeiter leichter halten zu können
  • Neue Dienstleistungen, wie z.B. Videokonferenzen/Webinare für homogene Gruppen von Klienten zu Spezialthemen
  • Sie können schneller in Besprechungen mit dem Klienten kommen; Anfahrts- bzw. Reisezeiten fallen weg; der Klient kann von überall aus an Besprechungen teilnehmen
  • Eine Verbesserung der Klientenbetreuung, sowohl technisch wie fachlich, ist möglich, da einiges nun nicht mehr vor Ort beim Klienten erledigt werden muss. Denken Sie nur an die im Moment so notwendige Prozessberatung im Rechnungswesen (siehe auch der dritte konzentrische Kreis der Digitalisierung & Automatisierung). Hier kann einiges virtuell geleistet werden und damit die Gesprächsfrequenz erhöht werden.

Natürlich sind zahlreiche Herausforderung für die hybride Steuerberatungskanzlei zu bewältigen, um all diese Vorteile zu erreichen. Allerdings sind die Anstrengungen lohnenswert.

Ich denke, dass ich einen möglichen Weg zur Bewältigung der Herausforderungen in diesem Beitrag aufzeigen konnte. Und es könnte der Branche doch nichts Besseres passieren, als auf ein neues Level der Qualität, Geschwindigkeit, Klientenbetreuung und Arbeitsplatzattraktivität zu kommen. Das sollte Ansporn genug sein, die Lerneffekte aus der Corona-Krise zielgerichtet in die Zukunft mitzunehmen.

6 Kommentare

Karola Jessing 10.07.2020 / 17:38 Uhr

Hallo Stephan, sehr treffend zusammengefasst. Vielen Dank!
Welche Videokonferenz- Software empfiehlst Du?

1

Stefan Lami 10.07.2020 / 19:28 Uhr

Liebe Karola,
danke für Dein positives Feedback. In den letzen Wochen habe ich mich immer an die Gesprächspartnern in Bezug auf die Software angepasst. Jene Software, die die Kanzlei verwendet, habe ich eben auch eingesetzt. Dabei habe ich festgestellt, dass es nur geringe Unterschiede gibt. Ob Zoom, Teams, Skype, GoToMeeting, Webex - mit allen hat es sehr gut funktioniert. Oder im privaten Bereich - mit Freunden - Facetime ...
Ich kann Dir daher leider keine eindeutige Empfehlung aussprechen.
Vielleicht möchten allerdings andere Leser dieses Beitrags ihre Erfahrungen teilen?
Liebe Grüße, Stefan

2

Franz Sahm 11.07.2020 / 11:20 Uhr

Moin Herr Lami,
interessantes Thema. Wir arbeiten schon seit 2010 digital - aber nicht in allen Fällen. Mandant muss geeignet sein und mitmachen. Der Begriff der "hybriden Kanzlei" gefällt mir, weil sehr treffend. Wir sind hier im "hohen Norden" weitgehend von der Infektionswelle verschont geblieben, mussten zudem im Büro nur wenig umstellen. Sicherheitsabstand wegen großzügiger Raumdimensionen kein Thema. Wohl aber Videokonferenzen. Ich habe zwei Versuche mit unterschiedlicher Software mitgemacht - zwei Katastrophen. Ursache: Die lausige Infrastruktur in Deutschland, an der sich derzeit aber einiges ändert. Der zweite Versuch ist das beste Beispiel: Drei Teilnehmer: einer in Zürich, einer in Hamburg Innenstadt und ich als Landei in Elmshorn. Der Hamburger hatte bestenfalls Standbild und kaum mal Ton. Der Zürcher und ich haben beide den Lichtwellenleiter bis ins Büro und hatten daher kein Problem. Wir sind dann zur Telefonkonferenz übergegangen. Da gab es keine Probleme.
Mit freundlichen Grüßen
F.J.Sahm

3

Stefan Lami 15.07.2020 / 21:20 Uhr

Lieber Herr Sahm, vielen Dank für Ihre Einschätzung.
Diese besondere - infrastrukturelle - Schwierigkeit kann leider nicht durch das Kanzleimanagement gelöst werden. Möglicherweise ist das Internet über das Mobilnetz in Ballungszentren dann sogar schneller ... Ich hatte in den letzten Wochen einige Video-Konferenzen über WLAN-Netze in verschiedenen Hotels in Österreich und selbst diese liefen erstaunlich gut.
Herzliche Grüße in den hohen Norden - Stefan Lami

4

Harald Müller 12.07.2020 / 19:56 Uhr

Lieber Stefan,
danke für diesen sehr interessanten Artikel und die Ausdehnung der Gedanken zur digitalen Kanzlei. Auch wenn der Switch zwischen Präsenzkanzlei und Homeoffice gut funktionierte, ist der Gedanke der optimierten Ausstattung im Homeoffice sehr wichtig. Für Meetings gingen wir auf Zoom, Mandanten setzten Teams ein, klappte perfekt. Was wir optimieren müssen, ist die interne Kommunikation in solchen Fällen. Dafür braucht es einen Rahmen, sonst entsteht evtl. "lost in Homeoffice". Was hinsichtlich Kommunikation aber auch zugenommen hat, war schlicht das Telefonieren. Mandanten wollten den Kontakt und es waren mehr Fragen, als Präsentationen. Für eine generelle Strategie sollte man sich aber wirklich an der Möglichkeit der Präsentation ausrichten. und dann gibt es einen Kick, wenn sich die Kanzlei selbst aufmacht, "Klassiker" nicht immer verbal zu erklären sondern gut aufbereitet zu zeigen. Ein weites Feld. Es wäre noch manches anzuführen.
Danke nochmals für die Inspiration und Hilfen.
Liebe Grüße
Harald

5

Stefan Lami 15.07.2020 / 21:15 Uhr

Lieber Harald, vielen dank für Deine Überlegungen - und danke für das positive Feedback. "Lost in Home-Office" ist ein treffender Begriff, und tatsächlich ist einiges notwendig, dass genau das nicht eintritt. Danke auch zu Deinen Erfahrungen zu Zoom und Teams. Liebe Grüße aus Tirol
Stefan

6

Kommentar schreiben

Mag. Stefan Lami - Steuerberatung - Unternehmensberatung work Bachgasse 29/Top 8 A-6511 Zams Österreich work +43 664 221 23 24 cell +43 664 221 23 24 stefanlami.com
Atikon work Kornstraße 15 4060 Leonding Österreich work +43 732 611266 0 fax +43 732 611266 20 www.atikon.com 48.260229 14.257369