- Seite drucken
- Als PDF speichern
-
Seite weiterempfehlen
Ihre Empfehlung wurde versendet.
- RSS-Feed abonnieren
- Podcast abonnieren
Vertrauen in der Mitarbeiterführung
Was uns das Gefangenendilemma lehrt
16.03.2005Vertrauen zu gewähren und auf empfangenes Vertrauen richtig zu reagieren, muss - wie vieles andere auch - jeder Mensch im Laufe seines Lebens erlernen. Ohne Erfahrung mit persönlichem Vertrauen kann sich kaum Vertrauen in andere Menschen bzw. in andere Organisationen einstellen. Die Fähigkeit Vertrauen zu gewähren und zu rechtfertigen, ist eine sehr persönliche Erfahrung, die auf persönlicher Lebenserfahrung beruht. Vertrauen einzufordern oder gar nachträglich zu schaffen, erscheint demnach eher als ein Ding der Unmöglichkeit.
Vertrauen ist, als Erwartungshaltung gesehen, immer mit dem Risiko der Enttäuschung und damit eines Verlustes verbunden. So muss am Beginn einer Vertrauensbeziehung (z.B. Kanzleiinhaber - Mitarbeiter, Klient - Mitarbeiter usw.), immer ein "Vertrauensvorschuss" stehen, der auch wieder leicht verloren werden kann.
Was sollte also Menschen dazu veranlassen, sich freiwillig in die Position eines möglichen Verlierers zu begeben? Welche überzeugenden Gründe könnte es geben, trotz der möglichen Aussichten, den Vertrauensvorschuss zu verlieren, sich für eine Strategie des Vertrauens zu entscheiden?
Die Situation, in der Menschen vor eben der Entscheidung dieses Problems stehen, wird in der wissenschaftlichen Literatur als iteriertes (wiederholtes) Gefangenendilemma beschrieben. Selbst wenn Sie jetzt glauben, als Steuerberater habe ich nichts mit Gefangenen zu tun (obwohl auch das schneller gehen kann, als man glaubt - siehe die jüngsten Bilanzskandale) lesen sie trotzdem bitte weiter.
Die Situation
Das Gefangenendilemma beschreibt das klassische Zwei-Personen-Nicht-Nullsummenspiel. Für beide beteiligten Personen ist es möglich, wechselseitige Vorteile oder Gewinne aus dem Vertrauen zum anderen zu ziehen. Dabei ist ebenso möglich, dass einer den anderen ausbeutet, oder, dass keiner der beiden beteiligten Personen dem anderen sein Vertrauen schenkt, aus der Überlegung heraus, dadurch selbst den Kürzeren zu ziehen.
Das Gefangenendilemma leitet seine Struktur von der amerikanischen Kronzeugen-Regelung ab: Die Staatsanwaltschaft bietet zwei Gefangenen, die verdächtigt werden, gemeinsam eine Straftat begangen zu haben, jeweils getrennt voneinander Hafterlass beim Gestehen der Straftat an. Der jeweils belastete Gefangene müsste für 12 Jahre ins Gefängnis. Sollten jedoch beide schweigen, würde sich, auf Grund der Indizienbeweise, eine Haftstrafe für jeweils 5 Jahre ergeben. Wären beide Gefangenen geständig, müssten beide Gefangene für 8 Jahre ins Gefängnis.
Das heisst, jeder der Gefangenen hat also zwei Möglichkeiten, sich zu entscheiden: Schweigen oder Gestehen. Oder, aus der Sicht der Gefangenen, auf die Loyalität des Komplizen zu vertrauen, bzw. umgekehrt, mit dem Staatsanwalt eine Kooperation zu beginnen. Beide kennen die Konsequenzen ihrer Handlung. Jeder muss allerdings seine Wahl treffen, ohne zu wissen, wie der andere sich verhalten wird.
In folgender Matrix sind die möglichen Kombinationen der Entscheidungsmöglichkeiten dargestellt:
|
Gefangener B Schweigen |
Gefangener B Gestehen |
Gefangener A Schweigen |
5 Jahre/5 Jahre |
12 Jahre/0 Jahre |
Gefangener A Gestehen |
0 Jahre/12 Jahre |
8 Jahre/8 Jahre |
Matrix für das Gefangenendilemma
Das eigentliche Dilemma besteht nun darin, dass unabhängig vom Verhalten des anderen, die Strategie des Vertrauensbruchs zum ehemaligen Komplizen (Partner), als die einzig vernünftige erscheint, d.h. als die sicherste Strategie für beide Gefangenen, obwohl beide dadurch verlieren und nur ein suboptimales Ergebnis erreichen können (8 Jahre Gefängnis).
Nehmen wir einmal an, der Gefangene A kommt bei seinen Überlegungen zu dem Punkt, dass Schweigen die vernünftigste aller Entscheidungsmöglichkeiten für ihn wäre. Er würde diese Entscheidung nur treffen, wenn er darauf vertrauen könnte, dass auch sein Komplize sich so verhalten wird (Gefangener A/Schweigen, Gefangener B/Schweigen: beide 5 Jahre Gefängnis). Was aber, wenn der Komplize nicht schweigen wird? (Gefangener A/Schweigen, Gefangener B/Gestehen: A 12 Jahre Haft, B 0 Jahre Haft). Wie wird der Komplize umgekehrt sein Vertrauen einschätzen?
Es ergibt sich ein Beziehungsdilemma, das mit rationalen Überlegungen nicht gelöst werden kann. Denn - wann immer - im Sinne der Maximierung der eigenen Interessen, die "vernünftigste" Lösung gefunden worden ist, drängt sich bei weiteren rationalen Überlegungen eine noch vernünftigere auf. Eine Sackgasse also, die den Schluss zulässt, dass rationale Logik und Vertrauen sich nicht vertragen.
Diese Überlegungen erweisen sich nicht nur als theoretischer Natur. Sie können vielmehr als "eleganteste" Abstraktion von Beziehungsproblemen gelesen werden. Viele zwischenmenschliche Konfliktsituationen, von persönlichen bis hin zu geschäftlichen Beziehungen, können als ein solches, wiederholtes Gefangenendilemma, aufgefasst werden.
Was ist aber in dieser Situation eine gute Strategie? Wie sich verhalten? Wie oft ist es sinnvoll, dem anderen das Vertrauen zu schenken, wenn der andere dieses geschenkte Vertrauen womöglich skrupellos missbrauchen könnte oder damit nur seinen Eigennutz maximieren wollte? Wann ist es für mich sinnvoll, nicht mehr freundlich und vertrauensvoll zu reagieren, um zu einem optimalen Ergebnis zu kommen?
Genau diese Fragen versuchte der Mathematiker Robert Axelrod mit Hilfe der Spieltheorie zu beantworten.
Spiele ... werden Sie denken, nein damit habe ich als Steuerberater wirklich nichts mehr zu tun. Aber keine Sorge die Spieltheorie ist eine seriöse, ernsthafte Wissenschaftstheorie. Gestatten Sie mir, dass ich Sie nochmals zum Weiterlesen auffordere.
Die Spieltheorie untersucht ganz generell interaktive Strategien von Individuen, die entgegengesetzte oder sich überschneidende Interessen haben. Die Ergebnisse können keineswegs nur auf "Spiele" im engeren Sinn angewendet werden, sondern besitzen nachweislich Gültigkeit für das reale Verhalten von Menschen in vergleichbaren Entscheidungssituationen.
Experten aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen wurden von Robert Axelrod eingeladen, Computerprogramme für strategische Spiele einzureichen und damit an einem Wettbewerb teilzunehmen. (Robert Axelrod: "Die Evolution der Kooperation" erschienen im R. Oldenburg Verlag, 2000)
Das Ergebnis war erstaunlich. Es gewann das einfachste Programm, nämlich TIT FOR TAT, eingereicht von dem kanadischen Psychologen Anatol Rapoport. TIT FOR TAT ("Wie du mir, so ich dir") ist eine freundliche Spielstrategie. Sie beginnt mit dem Eingangs erwähnten "Vertrauensvorschuss" und dem Angebot zur Kooperation. Danach tut sie jeweils das, was der andere Spieler beim vorherigen Zug getan hat.
"Was den robusten Erfolg von TIT FOR TAT ausmacht, ist die Kombination freundlich zu sein, zurückzuschlagen, Nachsicht zu üben und verständlich zu sein. Freundlichkeit schützt vor überflüssigen Scherereien. Zurückschlagen hält die andere Seite nach einer versuchten Defektion (Ergänzung: er meint Nichtkooperation.) davon ab, diese unbeirrt fortzusetzen. Nachsicht ist hilfreich bei der Wiederherstellung wechselseitiger Kooperation. Schliesslich erleichtert Verständlichkeit die Identifikation und löst dadurch langfristige Kooperation aus." (Die Evolution der Kooperation, S.48)
Alles nur Theorie ... denken Sie? Axelrod veranschaulicht die Entwicklung von Kooperation und gegenseitigem Vertrauen auf der Grundlage von TIT FOR TAT an einem sehr beeindruckenden Beispiel, das unter denkbar ungünstigsten Bedingungen im Stellungskrieg des ersten Weltkriegs stattfand:
Ohne jemals ein Wort darüber gewechselt zu haben, hielten sich die feindlichen Soldaten an Kampfpausen während der Essenszeiten. Ein System des "Leben und Leben Lassen" hatte sich entwickelt. Dies geschah entgegen der militärischen Logik des Tötens und Getötet Werdens und trotz der Versuche höherer Offiziere, dies zu unterbinden.
Axelrod leitete nun davon ab, dass, wenn Vertrauen selbst unter Feinden entstehen kann, die Strategie TIT FOR TAT allgemeingültige Regeln enthält, die unter unterschiedlichsten Bedingungen aller Voraussicht nach sehr erfolgversprechend sind.
Aus seinen umfassenden Untersuchungen leitet er vier einfache Verhaltensvorschläge ab, die Sie täglich in der Mitarbeiterführung berücksichtigen können.
1. "Sei nicht neidisch."
2. "Defektiere nicht als Erster."
3. "Erwidere sowohl Kooperation, wie auch Nichtkooperation."
4. "Sei nicht zu raffiniert."
1. "Sei nicht neidisch"
Der Vergleich mit dem Erfolg des anderen (Konkurrent, Geschäftspartner, Unternehmer...) löst leider häufig Neidgefühle aus. Dieser Neid führt oft zu Versuchen, den Vorteil des anderen zu korrigieren. In Beziehungen ist dies durch Abbruch der Kooperation möglich. Ein Beenden der Kooperation führt aber in der Folge zu wechselseitigen Verlusten. Neid wirkt sich daher unweigerlich selbstzerstörerisch aus. TIT FOR TAT als Strategie löst hingegen ein Verhalten aus, das beiden beteiligten Partnern ermöglicht, gut abzuschneiden. Der Erfolg des anderen ist praktisch immer die Voraussetzung für den eigenen Erfolg. Wer sollte dies verhindern wollen?
2. "Defektiere nicht als Erster."
Es lohnt sich verlässlich, so lange zu kooperieren, wie auch der anderer das tut. Freundlichkeit lohnt sich immer. Zudem werden unnötige Konflikte damit vermieden. Eine gute Beziehung zu beenden, würde bedeuten, dass langfristig damit die Basis des eigenen Erfolges vernichtet würde.
3. "Erwidere sowohl Kooperation, wie auch Nichtkooperation."
Folgen Sie dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Erwidern Sie Ihnen entgegen gebrachtes Vertrauen, aber hüten Sie sich genauso vehement davor, ungehindert ausgebeutet zu werden. TIT FOR TAT - " Wie du mir, so ich dir". Nachsichtigkeit erleichtert das Wiederherstellen einer erneuten Vertrauensbasis und einer neuerlichen Kooperation, nach etwaigem Missbrauch.
4. "Sei nicht zu raffiniert."
Eine Strategie, die für jedermann zu begreifen ist, erweckt Vertrauen und ermutigt geradezu zur Kooperation. Wenn Sie eine Strategie wie TIT FOR TAT verwenden, wird Ihr zukünftiges Verhalten vorhersehbar. Der andere kann leicht erkennen, dass die beste Art, mit Ihnen zurecht zu kommen, Kooperation ist. Der "Trick" dabei ist, mit der Kooperation zu beginnen.
Sie als Kanzleiinhaber haben es in der Hand Ihren Mitarbeitern diese einfachen Verhaltensregeln des Unternehmens klar und unmissverständlich zu kommunizieren. Alleine die Tatsache, dass Sie über die Regeln sprechen, sorgt dafür, dass Sie Vertrauen schaffen. Beginnen Sie Ihre Beziehungen zu Ihren Mitarbeitern immer mit Freundlichkeit und dem Angebot zur Kooperation.
Investieren Sie den Vertrauensvorschuss. Zeigen Sie aber auch in aller Deutlichkeit, dass jeglicher Vertrauensmissbrauch sofortige Konsequenzen haben wird, und Sie nicht bereit sind, derartiges Verhalten zu tolerieren. Ihre Mitarbeiter müssen klar erkennen können, welche Regeln in Ihrem Unternehmen Gültigkeit haben.
Seien Sie in der Folge aber wieder zur Kooperation bereit. Geben Sie Ihrem Mitarbeiter einen weiteren Vertrauensvorschuss mit der Absicht, dass er ihn dieses Mal nicht ausnützt. Ein Mitarbeiter, der diesen einfachen Regeln nicht folgen will oder kann, ist vielleicht nicht unbedingt als Stammspieler für Ihr Team geeignet.
Die meisten Mitarbeiter werden dieses Vorgehen aber schätzen. Ein wesentliches Kriterium für die Mitarbeiterzufriedenheit ist die Tatsache, dass die Handlungen Ihres Vorgesetzten vorhersehbar sind.
TIT FOR TAT - konsequent angewendet - ist eine solide Grundlage für eine langfristige Entwicklung von Vertrauen in der Mitarbeiterführung.
Lesen Sie dazu auch "Was ist Vertrauen?" und "Wie man Vertrauen gewinnt"