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Mit den Augen eines Auszubildenden
Meine Erkenntnisse aus einem umfangreichen Lernprozess
12.04.2022Während der letzten 2 ½ Jahre habe ich rund 12 Wochen in Ausbildungen verbracht: Das waren die Ausbildungen zum Tiroler Bergwanderführer, zum Tiroler Landesskilehrer und zum Snowboardlehrer-Anwärter. Damit habe ich eine solide Grundlage für viele Coaching-Aktivitäten in der Natur geschaffen.
Neben dem unmittelbaren Lernen der Tätigkeit an und für sich, war die Beobachtung und das Erleben des Ausbildungs- und Lernprozesses für mich extrem wertvoll. Ich konnte am eigenen Leib verspüren, wie es ist, Neues zu lernen, die eigenen Grenzen immer wieder ein Stückchen weit zu verschieben und sich auf unterschiedliche Ausbilder einzulassen bzw. sich darauf einzustellen.
Meine Erkenntnisse zu diesen umfangreichen Ausbildungs- und Lernprozessen kann ich in 7 Beobachtungen zusammenfassen, die in weiten Teilen auch in die Welt der Steuerberatung übertragbar sind.
Beobachtung N°1: Die enorme Bedeutung der Person des Ausbilders
Aus meiner Perspektive hatte die Person – genauer gesagt die Persönlichkeit – des Ausbilders die größte Wirkung auf meinen Lernprozess. Ich hatte das Glück, dass alle Ausbilder – es waren insgesamt 8 verschiedene Personen – sehr kompetent waren. Oder es könnte natürlich auch sein, dass es nicht Glück war, sondern die Ausbilder von den jeweiligen Verbänden eben gut vorbereitet wurden.
Die Stile, wie sie die Ausbildungsgruppen führten, waren unterschiedlich und geprägt von Ihren individuellen Erfahrungen und Persönlichkeiten. Die Bandbreite reichte vom „knapp am Militärischen“-Führungsstil bis zu einem sehr freundschaftlichen Führungsstil. Für mich wesentlich war weniger der Stil, sondern das Ergebnis, d.h. der Lernfortschritt. Und der war bei allen Arten von Führungsstilen gegeben. Warum war das so?
Ich erlebte, dass alle Ausbilder – bewusst oder unbewusst – einen Anspruch an sich selbst stellten, den ich für Mitarbeiterführung auch postuliere: „Führung bedeutet, das Beste aus den Menschen zu machen, die ich führe. Sie sogar besser zu machen, als er oder sie es sich selbst vorstellen kann“. Sie alle hatten dieses progressive Anspruchsniveau: Es geht immer noch ein kleines bisschen besser!
Mir wurde auch bewusst, welche enorme Wirkung im Lernprozess durch das Vorbild des Ausbilders erzielt wird. Ich konnte mir extrem viel einfach nur durch Zusehen und Nachmachen aneignen. Das mag jetzt beim Erlernen von Bewegungsabläufen offensichtlich sein. Allerdings geht es weit darüber hinaus. Nämlich Vorbild im Sinne von beispielsweise:
- Wie spricht der Ausbilder mit jedem Einzelnen und der Gruppe insgesamt?
- Wie verhält er sich in gewissen – schwierigen – Situationen?
- Wie geht er mit Personen im Allgemeinen um (auf der Ski- oder Berghütte, beim Lift, im Hotel etc.)?
- Wie gelingt es ihm, sich auf die Gruppe einzustellen?
In mehreren Beiträgen habe ich bereits auf die Bedeutung der Persönlichkeit von Führungskräften und die Kraft des Vorbilds hingewiesen.
Beobachtung N°2: Die Wichtigkeit der Stimmung in der Lerngruppe und die Bedeutung des Beitrags des Einzelnen für die Gruppe
Ist die Stimmung in der Gruppe gut, fallen jedem Einzelnen die gestellten Aufgaben leichter. Im Lauf der Ausbildungen waren ja durchaus anstrengende, herausfordernde Situationen zu bewältigen. Wenn sich dabei ein gewisser Team-Spirit etabliert hatte, war die Bewältigung der Herausforderungen deutlich einfacher und machte auch mehr Freude.
Mir wurde einmal mehr glasklar bewusst, dass ich als Teil der Gruppe diese Stimmung maßgeblich beeinflussen kann. Sowohl im positiven, wie auch negativen Sinn. Natürlich kostete eine positive Beeinflussung eine ganze Menge Energie. Die sich daraus ergebende bessere Stimmung und die damit verbundenen größeren Lernerfolge waren es allemal wert. Außerdem konnte ich darauf zählen, dass, wenn ich einmal „nicht so gut drauf war“, ein anderes Gruppenmitglied positive Energie in die Gruppe brachte.
Der Erfolg von Lern- und Veränderungsprozessen in Kanzleien hängt, so meine Einschätzung, maßgeblich von der Stimmung im Team ab.
Beobachtung N°3: Der ausgewogene Mix an Lernformen
Das Ausbildungsprogramm bzw. das Ausbildungsziel ist klar strukturiert und vorgegeben. Der Weg zur Erlernung dieser notwendigen Fähigkeiten war allerdings geprägt von Abwechslung, Variation und spielerischem Vorgehen. So waren z.B. Spurfahren, Einzelfahrten, Fahrten zu zweit und eine Fülle von unterschiedlichen Übungen gepaart mit Individual-Feedback und Simultan-Feedback
Lernen ist selten bis nie eine eindimensionale Angelegenheit. Lernen erfolgt auf unterschiedlichen Ebenen mit den verschiedensten Reizen. Ich denke, dass Abwechslung und Variation für Lernprozesse in der Steuerberatung genauso möglich und extrem nützlich sind. Natürlich wird jeder Einzelne das Eine oder Andere im Eigenstudium lernen (müssen), doch die Kombination von Lernpartnerschaften, Lerngruppen, Training-on-the-Job, Erfahrungsaustausch in den Team-Meetings, die Verpflichtung der Wissensweitergabe nach Seminarbesuchen u.a. bestimmen den Lernerfolg mit.
Trotz all der unterschiedlichen Methoden verbleibt natürlich die Verantwortung für das Lernen bei jedem Einzelnen. Besonders beim Kopfarbeiter – sehen Sie dazu Die Verantwortung des Kopfarbeiters für das Lernen
Beobachtung N° 4: Das unmittelbare und wertschätzende Feedback
Über die Wichtigkeit von Feedback habe ich bereits ausführlich auf meiner Homepage berichtet. Z.B. im Beitrag Feedback ist immer ein Geschenk
Für mich war es eine Freude, fast schon ein Erlebnis, das exzellente Feedback-Geben der besten Ausbilder beobachten zu können. Natürlich erfolgte jedes Feedback unmittelbar nach der jeweiligen Aufgabe. Ein zeitverzögertes Feedback entwickelt ja so gut wie keine Wirkung. Das Feedback war extrem wertschätzend, immer darauf bedacht zuerst die positiven Aspekte zu benennen. Das noch zu korrigierende Verhalten wurde mit konkreten Verbesserungsschritten verknüpft, die ich bei der nächsten Aufgabe gleich ausprobieren konnte. Es drehte sich dabei nie um lange, ausführliche Gespräche, sondern um kurze, kompakte Hinweise. Und mir wurde auch bewusst, wie das genaue Hinsehen eine entscheidende Voraussetzung ist, um ein derart konkretes Feedback geben zu können.
Gelang es mir – ab und zu – die gestellte Aufgabe richtig gut hinzubekommen, dann erhielt ich auch prompt die positive Bestätigung dafür mit den Worten: „ … genauso – super gemacht …“.
Die hier beschriebenen Erfahrungen können nahezu vollständig in die Praxis der Mitarbeiterführung in Steuerberatungskanzleien übertragen werden. Zur Weiterentwicklung von Führungsfähigkeiten ist es eine sehr gute Idee, sich regelmäßig einen guten Skilehrer, Bergführer, Personal Coach zu leisten und ganz genau hinzusehen, wie dieser handelt. Jeder wird dabei viel für seine Führungsaufgaben lernen können.
Im Ausbildungsprozess wurde auch mit Videoanalysen gearbeitet. Das Video-Feedback ist die „ehrlichste“ Form des Feedbacks. Ich konnte mir selbst ein Bild machen. Keine Ausreden! Genau so sahen meine Bewegungen aus. Auch hier erhielt ich die Bestätigung über die Nützlichkeit von Feedback mittels Videoaufnahmen, wie sie meine Lebenspartnerin Christine in ihren Kommunikations-Trainings immer wieder einsetzt.
Den bekannten Grundsatz „Wer an Leistung interessiert ist, holt sich Feedback“, konnte ich während der gesamten Zeit der Ausbildung beobachten. Falls Sie in Ihren Führungsaufgaben immer wieder feststellen, dass es in Ihrem Team Personen gibt, die nicht Feedback einfordern, schließen Sie bitte nicht im ersten Schritt daraus, dass diese Mitarbeiter nicht an der Verbesserung ihrer Leistung interessiert wären. Überprüfen Sie zuerst extrem kritisch Ihre Art und Weise des Feedback-Gebens.
Beobachtung N° 5: Die Einhaltung von methodischen Grundsätzen
Ein Fach der theoretischen Skilehrer-Prüfung ist Unterrichtslehre. Unter anderem wurde dort über die allgemeinen methodischen Grundsätze gesprochen, die natürlich auch in der praktischen Ausbildung tagtäglich berücksichtig wurden:
- Vom Leichten zum Schwierigen
- Vom Bekannten zum Neuen
- Neues unter erleichterten Bedingungen erlernen
- Beidseitiges Üben
- Die schwächere Seite verstärkt üben
- Einfaches Erklären
- Deutliches Vorzeigen
- Abwechslungsreicher Unterricht
- Lehren/lernen in kleinen Schritten
- Sich nach dem schwächsten Gast richten
Der vierte und der fünfte Grundsatz werden in der Steuerberatung wohl weniger wichtig sein. Der zehnte Grundsatz ist unter dem übergeordneten Ziel „Sicherheit für den Gast“ zu interpretieren
Alle anderen methodischen Grundsätze lassen sich eins-zu-eins in die Praxis der Steuerberatung übertragen. Sprechen Sie als Inhaber, Partner, Führungskraft mit jenen Mitarbeitern, die für die Ausbildung der neuen Kollegen verantwortlich sind, über diese Grundsätze und suchen Sie nach Beispielen und Möglichkeiten, wie diese Grundsätze für den Einarbeitungsprozess neuer Mitarbeiter verwendet werden können.
Die Ausbildung der Ausbilder ist eine enorm wichtige Aufgabe für die Weiterentwicklung ihrer Kanzlei.
Beobachtung N°6: Der große Anteil an sozialen Kompetenzen in der Ausbildung
Es ist für mich fast schon erschreckend, dass in der Ausbildung zum Steuerberater „Kommunikation“ als Beispiel bzw. als ein Teil sozialer Kompetenzen gar nicht vorkommt. Selbstverständlich ist Fachkompetenz nicht verhandelbar. Sie bildet die Basis, ohne sie gibt es keine Legitimation des Handelns.
Der Tiroler Bergsportführerverband und der Tiroler Skilehrerverband sind hier – so meine Einschätzung – doch ein Stückchen weiter. Soziale Kompetenzen gehören zum Ausbildungsprogramm. Lehrauftritte werden eingefordert und geprüft. „Der Schneesportlehrer als Dienstleister“ ist ein Unterrichtsfach. Sogar der Umgang mit Beschwerden wird ausführlich besprochen. Beiden Verbändern ist darüber hinaus bewusst, dass soziale Kompetenzen ein noch größeres Gewicht in der Ausbildung erhalten sollten.
In Beitrag Wettbewerbsvorsprung durch Mitarbeitertraining aus dem Jahr 2005 (!) habe ich die Pyramide der Kompetenzen bereits dargestellt. Angepasst an die derzeitige Situation fehlen in dieser Darstellung allerdings die technische IT-Kompetenz als Ergänzung zur Fachkompetenz/Basiskompetenz.
Beobachtung N° 7: Die Notwendigkeit eines professionellen Umfelds
Die Ausbildungswochen fanden an unterschiedlichen Orten statt. Sie waren coronabedingt auch von zahlreichen Einschränkungen geprägt. Mir wurde dadurch vor Augen geführt, um wie viel anstrengender Lernprozesse sind, wenn die Umgebung nicht professionell gestaltet ist. Eine suboptimale Infrastruktur, wie z.B. schlechte Seminarräume, unstrukturierte Lernhilfen, etc., erschwert die Ausbildung. Gleichzeitig konnte ich erleben, wie eine professionelle und angenehme Umgebung Lernprozesse erleichtert. So verfügt z.B. der Tiroler Skilehrerverband über ein eigenes Kompetenzzentrum, in dem die idealen Rahmenbedingungen vorliegen.
Auch diese Beobachtung ist eins-zu-eins auf die Steuerberatung übertragbar. Die Kosten für eine ideale Lern- und Arbeitsumgebung lohnen sich immer. Hier zu sparen, ist Sparen am falschen Platz.
Resümee
Wenn es mir gelungen ist, Sie durch diese Beobachtungen zum Reflektieren zu bewegen, dann habe ich mein Ziel erreicht. Überprüfen Sie anhand der vorgestellten Punkte Ihr Führungsverhalten. Ich denke, dass sich daraus die eine oder andere Entwicklungsmöglichkeit ergibt.
Einen Punkt möchte ich abschließend ergänzen: So gut wie alle Prozesse in der Kanzlei sind Lernprozesse. Selbst bei den fundamentalen Erstellungsprozessen, wie beispielsweise beim monatlichen Rechnungswesen, sind tagtäglich Lerngewinn möglich, wenn nicht sogar notwendig. Insofern befinden sich alle Menschen in der Steuerberatung in einer andauernden Ausbildung. Ausgelernt hat man bekanntlich ja nie.
Und die chinesische Weisheit „Selbst wenn Du in einem Fach Meister bist, solltest Du in einem anderen Fach Lehrling sein“ hat schon mehr als ein Körnchen Wahrheit in sich.
4 Kommentare
Wolfgang Pfeifer 13.04.2022 / 16:37 Uhr
Hallo Stefan,
herzliche Glückwünsche zu den erfolgreich absolvierten Ausbildungen!
Lieben Dank für den hervorragenden Artikel bzgl. Deiner "7 Beobachtungen" und den Verweis auf frühere Beiträge von Dir.
Es wird sich lohnen, diese Beobachtungen im Kanzleialltag umzusetzen!
Herzliche Grüße
Wolfgang
Stefan Lami 16.04.2022 / 14:41 Uhr
Lieber Wolfgang,
danke für die Glückwünsche und Dein so positives Feedback. Das freut mich sehr!
Liebe Grüße, alles Gute!
Stefan
Bernhard Brugger 19.04.2022 / 17:16 Uhr
Lieber Stefan,
ganz herzliche Gratulation zu Deinen bestandenen Prüfungen und den lernfähigen Organisationen, die Menschen ausbilden, die Dir so ein Können vermittelt haben.
Wünsche Dir einen wunderschönen Bergfrühling. Wir lernen täglich weiter. Herzliche Grüße Bernhard
Stefan Lami 19.04.2022 / 22:35 Uhr
Lieber Benhard,
vielen Dank für Deine Glückwünsche und die allerbesten Grüße an den Bodensee!
Stefan