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Eine Frage der Wertschätzung
von Stefan Lami
16.12.2009Ein Blick über den Tellerrand der Steuerberatung tut immer gut. Vielen Dank an Bernhard Brugger www.brugger-partner.de, der mir diesen Artikel zukommen hat lassen. (Übrigens, weitere gute Nachrichten von Bernhard Brugger gibt es unter www.goodnewz.de).
Eine Frage der Wertschätzung
Eine nicht ganz ernst gemeinte Betrachtung zum Preis
www.sturm-larondelle.de
Vieles wurde über Restaurierung geschrieben. Aber eines kam in diesen Artikeln eigentlich nie vor. Das Feilschen um den billigsten Preis. Restaurator Manfred Sturm-Larondelle kommentiert das Thema im Folgenden auf seine Weise: Ich stelle das Glas Rotwein auf den alten Tisch und schlage die Zeitung auf. Mich grinsen die Hymnen dieser Tage an: „Ich bin doch nicht blöd!“, sagt mir da jemand. Suche fieberhaft nach meinem Lieblingssatz der letzten Jahre, kann ihn nicht finden. Bin fast ein wenig enttäuscht. Sollte der Geiz auf einmal nicht mehr so geil sein? Nun, in den Hirnen hat er seine Spuren hinterlassen.
Begebe mich am folgenden Morgen zu einem Kunden. Ein französischer Sekretär, 1790, Palisander furniert. Ein edles Stück, vollendet elegante Linienführung. Fein ziselierte Bronzebeschläge. Ein Stück, über das man Gedichte schreiben könnte. Ich lasse meine Hand über das rissige, teilweise lose Furnier gleiten. Sehe die Verwundungen, die dieses Stück erlitten hat. Hat die letzten Jahre bei der Tante in der Garage verbracht. Öffne ihn. Viele kleine, schön angeordnete Schubladen, teilweise ihrer Führungen beraubt, schauen mich verloren an. Drei Elfenbeinknöpfe fehlen, bei einigen anderen sind nur noch Reste vorhanden.
In solchen Momenten möchte ich die Fähigkeit besitzen, zu hören. Zu lauschen, was mir dieses Möbel erzählen mag. All die Geschichten... „Nun was meinen Sie Herr Sturm-Larondelle, lohnt es sich?“ Eine komische Frage, denke ich. Es lohnt sich fast immer. Es ist wie immer eine Frage der Wertschätzung - und des Geldes. Ich sehe in den Garten. Vor der Garage stehen ein 300er Mercedes und ein Morris Mini Cabrio. Das Gemälde an der Wand gegenüber ist kein Kunstdruck. Also eine Frage der Wertschätzung. Ich bejahe seine Frage mit warmer Stimme, die Hand auf der von Wasserflecken übersäten Schreibtischplatte.
„Nun, ich meine, es muss sich natürlich rechnen, das werden Sie verstehen. Ich bin Geschäftsmann.“ Ich übe mich im Nicht-Verstehen und schweige. Seine Frau nickt und schaut den Sekretär mit einer Mischung aus Mitleid und Ratlosigkeit an. „Sie sind uns empfohlen worden, obwohl Sie nicht billig sein sollen!“ „Wissen Sie, wir haben schon zwei Angebote; die liegen zwischen vier- und fünftausend.“ Ich nicke, mein Blick bleibt an einem gerahmten, alten Schwarzweißfoto hängen. Die Frau folgt meinem Blick. „Sehen sie Herr Sturm-Larondelle, das ist meine Urgroßmutter mit der jungen Frau daneben, meiner Großmutter...“ Die Gesichter auf diesen alten Bildern wirken immer wie schockgefroren, ohne jedes Lächeln. „ ...und da... im Hintergrund sehen Sie den Sekretär.“ Da ist er. Noch in der Blüte seiner Jahre.
Ich schaue ihn mir jetzt an und er wirkt unendlich traurig. Die Frau redet auf mich ein. Ich stelle Fragen. Sie erzählt Geschichten, die mit dem Sekretär zu tun haben. Sie tut dies mit Wärme und ihre Augen bekommen kleine Lichter. Es geht um Wertschätzung. Die Wertschätzung der eigenen Geschichte. „Verstehen sie Herr Sturm-Larondelle, wir wollen keine Unsummen für das Stück ausgeben.“ Dann fängt sie an, mir Vorschläge zu machen. Das geht so weit, dass man diese oder jene fehlende Leiste ja vielleicht günstig im Baumarkt besorgen könnte. Ihr Mann wird unruhig. „Nun ja“, sagt er, „wir wollen schon Qualität!“
Ich mache noch ein paar Fotos, während man mir in immer neuen Satzwendungen zu verstehen gibt, dass es schon um Qualität geht, aber billig soll es sein. Ich stoppe ein wenig den Redefluss und wir schauen uns einen kleinen Moment lang gemeinsam den Sekretär an. Knüpfe behutsam an die Geschichte der Frau an. Nehme den Sekretär aus der Beliebigkeit von Alltagsprodukten heraus. Versuche mit Worten, ihm etwas von seiner Würde zurückzugeben, die man ihm in der Ecke der Garage genommen hatte. Erzähle Geschichten über seine Herstellung. Ziehe behutsam eine der großen Schubladen heraus. Ich lasse ihm den Respekt zuteil werden, den er zweifelsohne verdient.
Der Mann will Aufwand und Preis der Restaurierung von mir erfahren. Ich sage ihm, dass wir auch darüber reden werden, aber nicht jetzt. Ich werde ihn anrufen. Jetzt will ich die beiden auf eine Reise mitnehmen. Ich versuche Ihnen die Einmaligkeit und den Zauber dieses alten Möbels nahezubringen, seine erlebten Geschichten. Ihre Gesichter sagen mir, dass sie den Sekretär so noch nie betrachtet haben. Als wir uns verabschieden, bin ich mir fast sicher, dass sie den Sekretär heute Abend anders ansehen.
Zwei Tage später rufe ich den französischen Sekretär an. Es wird ein längeres Gespräch. Er sagt, er hätte inzwischen meine Referenzen und all die Zeitungsauszüge goutiert. Goutiert sagt er! Schön, ich mache einen Pluspunkt auf der Liste. Er fragt mit einem Seufzer nach dem Preis. Ich erzähle noch einmal, was alles gemacht werden muss und mit welchen Materialien, dass meine Kompromissbereitschaft, was die Qualität angeht, sehr gering ist und dass eine handpolierte Schellackoberfläche ein Kunstwerk sei. Ich rede mich warm, male mit Worten. Der Sekretär hat es mir angetan. Nenne den Preis. Stille. Ich höre leise, entfernte Atemgeräusche. Ist er vom Stuhl gerutscht?
Ein zögerliches Räuspern. „Das ist teuer!“ Ich gebe ihm recht. Erneutes Schweigen. Dann, er mit frischem Elan in der Stimme: „Wie kommen wir zusammen, Herr Sturm-Larondelle?“ Der Auftakt zum Handeln. Er versteht sein „Handwerk“. Eine seltene Kunst in diesem Land. Wir einigen uns bei zwölftausendzweihundert. Er seufzt, aber ich höre sein Lächeln. Es wird eine gute Arbeit werden. Wir werden beide zufrieden sein und vielleicht, ja, vielleicht lernt auch die Urgroßmutter in dem Rahmen das Lachen wieder.